Technische Hilfeleistung

Todesfalle Unfallauto

Überforderte Helfer, verzweifelte Opfer



Todesfalle Unfallauto

High-Tech Stahl im Auto: er soll die Fahrzeuge sicherer machen. Doch wenn es zu wirklich schlimmen Unfällen kommt, wird es für die Retter von der Feuerwehr immer schwieriger, eingeklemmte Unfallopfer zu bergen. Der Autostahl ist nicht selten zu hart für die Rettungsscheren.

Von Annette Peter, Pia Dangelmayer
Stand: 17.08.2009

Massenkarambolage Ende Juli auf der A 2 bei Braunschweig: Großeinsatz für die Feuerwehr. Seit kurzem kämpfen die Retter mit immer stabileren Karosserien. Seitenaufprallschutz und Airbags retten viele Leben, mitunter können sie für die Feuerwehr zu einem Riesenproblem werden, wenn es gilt Opfer schnell zu bergen. Ulrike Ziegelmeier saß 60 Minuten eingeklemmt in ihrem total zerstörten Auto. Auch hier das Problem: der Stahl konnte mit der Rettungsschere nicht aufgeschnitten werden.

reportVideo aus der Sendung vom 17. August 2009: Todesfalle Unfallauto: Überforderte Helfer, verzweifelte Opfer

 

Ulrike Ziegelmeier: "Und da muss ich schon sagen, da hat man auch Todesangst dabei. Weil, man weiß ja nicht, was passiert ist, man hat einen Schock, und das ist schwer, das ist abzuschütteln und zu vergessen, das kann man nicht vergessen so was."

Auch Feuermann Dirk Bauer leidet bis heute unter einem Trauma. Er war damals der Einsatzleiter. Nach 20 Minuten war klar, die Feuerwehr kann das Unfallopfer nicht befreien. Noch heute sind die Spuren des Aufpralls am Baum erkennbar.

Dirk Bauer, Freiwillige Feuerwehr Sonnefeld: "Für mich persönlich war das eine sehr neue Situation. Ich habe ehrlich gesagt nicht mehr gewusst mit meinen Kameraden, wo sollen wir weitermachen? Man hat sich Ratschläge von anderen Kameraden geholt, aber in so eine Situation möchte ich selbst nicht mehr kommen, weil wir möchten ja die verunfallte Person relativ schnell befreien."

Doch leider kommt die Feuerwehr immer häufiger in solche Situationen. Hier Aufnahmen einer Übung. Das Problem: Die Autoindustrie entwickelt immer stabilere Fahrzeuge. Die Feuerwehren, besonders die Freiwilligen, können mit dieser technischen Entwicklung kaum Schritt halten. Nicht nur die Fahrzeuge der Oberklasse sind betroffen. Hochfeste Stähle werden mittlerweile überall verbaut.

Prof. Udo Müller, Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt: "Zunächst haben wir in der Fahrzeugindustrie das Ziel, wir wollen hochfeste Karosserien entwickeln und produzieren und gleichzeitig möchten wir dabei ein möglichst geringes Gewicht einhalten. Dies ist im Stahlkarosseriebau nur mit den neuen hochfesten und ultrahochfesten Stählen möglich und diese Stähle werden heute in Oberklasse ebenso eingesetzt wie in der Golfklasse wie auch in allen anderen Klassen auch."

Zurück zur Freiwilligen Feuerwehr Sonnefeld: Wir erleben wie schwer es ist, neues Material zu knacken. Im Test: der Seitenaufprallschutz eines Neuwagens. Die alte Schere schafft es nicht, die Säule zu schneiden. Nach den Erlebnissen mit dem Unfall von Ulrike Ziegelmeier hat die Feuerwehr sofort einen neuen Rettungssatz gekauft. Die neue Schere kriegt die Säule fast problemlos durch, trotz Stahlkern. Doch die Feuerwehr hinkt der rasanten Entwicklung in der Technik immer hinterher.

Dirk Bauer, Freiwillige Feuerwehr Sonnefeld: "Wir bekommen auch keine Informationen aus der Automobilindustrie, dass jetzt die Technik bereits wieder veraltet ist und wieder neue Technik angeschafft werden muss."

Über mehr Informationen aus der Automobilindustrie würde man sich auch bei der Freiwilligen Feuerwehr aus Kierspe im Sauerland freuen. Denn nicht nur der neue Stahl ist ein Problem – auch die Airbags, die Leben retten, können gefährlich werden, wenn sie bei der Rettung unkontrolliert platzen.

Andreas Pfaffenbach, Freiwillige Feuerwehr Kierspe: "Wir haben bis zu 20 Airbags teilweise in den Autos, so dass wir erst gucken müssen, wo die Airbags sind, wo Patronen sind, wo Verstärkungen sind, um dann auch gezielt dort schneiden zu können."

Um am Unfallfahrzeug möglichst schnell voranzukommen, sind Feuerwehrmänner auf aktuellste Daten angewiesen. Absurd, aber wahr: Diese Informationen muss sich die Feuerwehr im Internet selbst zusammensuchen. Hier beschreibt jeder Hersteller in einem Rettungsleitfaden seine Fahrzeuge. Jeder sieht anders aus. Für die Feuerwehr ein riesiges Durcheinander. Für den Verband der Deutschen Automobilindustrie alles kein Problem.

Thomas Schlick, Geschäftsführer VDA: "Man kann sich das ganz einfach vorstellen: Die Feuerwehr bekommt von der Leitstelle eine Information, dass irgendwo ein schwerer Unfall passiert ist. Berufsfeuerwehr oder Freiwillige Feuerwehr. Und auf dem Weg dorthin, bzw. vor Ort kann dann auch die Freiwillige Feuerwehr in dem direkten Draht, in dem direkten Telefon mit der Leitstelle sagen, was es für ein Auto ist, und die Leitstelle kann ins Internet gehen."

Ins Internet gehen und sich ganz in Ruhe Daten herunterladen. Und das während eines Rettungseinsatzes, bei dem jede Minute zählt?

Hartmut Ziebs, Vizepräsident Deutscher Feuerwehrverband: "Ist utopisch! Es wird nicht funktionieren, dass uns eine Rettungsleitstelle Daten übermittelt von dem entsprechenden Fahrzeug. Wir müssen zunächst einmal wirklich das Fahrzeug identifizieren, das Baujahr wissen, die Fahrgestellnummer wissen, damit die Rettungsleitstelle dann die entsprechenden Daten vom Kraftfahrtbundesamt übermittelt bekommt, dann müssen diese Daten wieder an die Einsatzstelle zurück! In der Zwischenzeit  sollten wir eigentlich den Patienten schon rausgeholt haben."

Und der ADAC hat herausgefunden: Nur bei einem Drittel der Unfälle erkennt die Feuerwehr den richtigen Fahrzeugtyp. Das bedeutet, oft helfen auch die Datenblätter aus dem Internet nichts. Deshalb fordert der ADAC eine einheitliche Rettungskarte für alle Autos.

Thomas Unger, ADAC-Projektleiter: "Der große Vorteil der Rettungskarte ist, dass dieses System sehr robust ist, sehr schnell umsetzbar ist, das heißt wir könnten sofort die Fahrzeuge ausstatten mit Rettungskarten bei den Herstellern, die schon welche zur Verfügung stellen, das nächste ist, dass die Rettungsinformationen für die Einsatzkräfte sehr schnell abrufbar sind, sofort vorliegen, und so die technische Rettung besser gestaltet werden kann."

report MÜNCHEN hat bei den Autoherstellern nachgehakt. Sind sie bereit eine einheitliche Rettungskarte in den Autos zu unterstützen? Das ernüchternde Ergebnis: Viele Autohersteller reagieren zögerlich, oder wollen "eine solche Karte auch nicht unseren Fahrzeugen beilegen". Fazit: Ulrike Ziegelmeier musste eine Stunde in Todesangst auf ihre Bergung warten, weil es keine Rettungskarte gab. Sie überlebte, weil sie Glück hatte. Viele Unfallopfer haben dieses Glück nicht.




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